Bruderschaft – noch zeitgemäß?

Bruderschaft – noch zeitgemäß?

Wer sich selbst fragt, ob sein Tun noch zeitgemäß ist, hat sich entweder aufgegeben oder sucht nach Bestätigung.

Da der Bund der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften wohl kaum im Verdacht steht, an mangelndem Selbstbewusstsein zu leiden, kann die vorgegebene Fragestellung nur als Bitte verstanden werden, Grundsätzliches zu erörtern. 

Wie also steht es um Heimat und Tradition in einem Gemeinwesen, das vor nicht allzu langer Zeit die „Stolz-auf-Deutschland -Debatte“ überstanden hat? Wie steht es um eine Gesellschaft, in der Big Brother & Co. den sittlichen Niedergang für alle im Fernsehen sichtbar machen?

Die Kirche beklagt, dass unsere Gesellschaft verflacht, dass Beliebigkeit an die Stelle von Standpunkten tritt, dass Werte untergehen. Gleichzeitig tritt sie die Flucht nach vorne an: Aus Angst, als unzeitgemäß zu gelten, gibt sie (wenn auch unter heftigen Bauchschmerzen) viele ihrer Traditionen auf.

Traditionen aber verkörpern in ihrer Symbolträchtigkeit die Kraft und Stärke einer Gemeinschaft, einer gelebten Ordnung. Das musste auch die Katholische Kirche erfahren. Denn im gleichen Umfang, wie sie – einer vermeintlichen Modernität folgend – auf Rituale verzichtet, verliert sie an Attraktivität. Die Menschen stimmen mit den Füßen ab.

Die Beobachtung zeigt, dass immer mehr Menschen Orientierung suchen und Lebenshilfe brauchen. Viele irren ziellos umher – vor allem auch, weil sie durch das Fehlen der vertrauten Symbole und das Experimentieren mit früher gelernten Mustern verunsichert werden: Stimmt das noch, was ich zu wissen glaubte? Bin ich hier noch richtig? Ist das noch meine Heimat, in der ich mich mal auskannte?

Wem es gelingt, den Herumirrenden Halt und Heimat zu geben, der dient dieser Gesellschaft.

Doch hält der überlieferte Ansatz des Zusammenlebens nur, wenn Traditionen für Inhalte stehen. Weihrauch als solcher macht noch keine Kirche voll. Mit Parademarsch und Königsschuss allein hat kein Schützenverein eine Zukunft. Die Schützen müssen leben, was sie mit ihren symbolträchtigen Festen seit Jahrhunderten geben: Gute Gemeinschaft, soziales Engagement, Geborgenheit. Aber auch eine zuverlässige Streckenführung in die Zukunft, Verlässlichkeit und die Bereitschaft, für den anderen einzutreten. Dass all dies das Gegenteil von Beliebigkeit und Egoismus voraussetzt, erklärt sich von selbst.

Hier gilt der Satz von John F. Kennedy: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst.“ In der Abwandlung heißt das: Heimat erlebt nur, wer sich einbringt. Heimatgefühl wächst aus Geben und Nehmen. Das Nehmen gibt Zutrauen, das Geben Selbstbewusstsein.

Wie früher in der Großfamilie braucht der Mensch das Wissen, eben nicht allein zu sein. Und weil die moderne Zeit die Familienbande löst – im Zusammenhalt wie auch räumlich – kann der Verein Ersatz sein. Zu Hause fühlt man sich dort, wo Freunde sind. Heimatgefühl erwächst aus der Freundschaft.

Wenn es aber zeitgemäß ist, das Ich vor das Wir zu stellen, sind Schützen-bruderschaften, vordergründig betrachtet, ein Anachronismus. Was soviel bedeutet wie „überholt“. Und damit Ziel für Spott und Witz.

Wenn man die oben geäußerten Gedanken aber konsequent verfolgt, ist gerade das Gegenteil der Fall – und Hohn und Witz enttarnen sich als der „Neid der Besitzlosen“. Denn schließlich gibt es auf mittlere Sicht für das vermeintlich „überholte“ Modell einer stimmigen Gemeinschaft keine Alternative.

Die Jugend spürt das und sucht weiterhin instinktiv die Nähe zu Erfahrung und Hilfestellung. Das erklärt auch, warum es im Schützenwesen eher kein oder fast kein Nachwuchsproblem gibt. Während manche Institution den Schwund an jungen Mitgliedern zu beklagen hat, steht das Sommerbrauchtum vergleichsweise gut da. Wer also sollte hier an Kapitulation denken?

Wenn Jugend Zukunft bedeutet, so ist diese für das Schützenwesen gesichert.

Kein Grund, sich auf Jahrhunderte alten Lorbeeren auszuruhen. Aber Grund genug, deren Wurzeln zu pflegen und dem frischen Grün eine Chance zu geben.

HORST THOREN